Das Leben mit dem Flugplatz

Anekdoten und Erinnerungen eines Zeitzeugen

Sieht man von den täglichen Überflügen, Landungen und Starts der vielen Flugzeuge und Hubschrauber einmal ab, bekam der Großteil der Bevölkerung in und um Sperenberg eigentlich nicht viel vom Betrieb des Flughafens mit.

Waren die Wohnstadt und das Flughafengelände an den Zufahrtsstraßen und in der Nähe des Dorfes noch mit Wachpersonal, hohen Mauern, Zäunen und Stacheldraht versehen (der Flugplatz selbst war im Inneren der Wohnstadt noch einmal gesondert abgesichert), verloren diese Sicherheitseinrichtungen jedoch langsam ihre Bedeutung, je weiter man der Umzäunung ins Waldgebiet hinein Richtung Flugfeld folgte.

Für Ortskundige war es kein großes Problem, über verschlungene Waldwege und Schneisen ins Sperrgebiet bis an den Hegesee oder sogar bis direkt an die Landebahnen zu gelangen.  Erwischen lassen durfte man sich aber nicht, das konnte schlimme Folgen haben.

Bei hochsommerlichen Temperaturen kam es oft zu Waldbränden im und am Flughafengelände. In den Wäldern kampierende Soldatentrupps machten sich wenig aus Trockenheit und Waldbrandstufe 4.
Da wurde ohne Skrupel mit Leuchtspurmunition geschossen, Lagerfeuer entfacht oder Fahrzeuge im Unterholz abgestellt. So ausgelöste Brände wurden, wenn überhaupt, nur von der russischen Flughafenfeuerwehr gelöscht. Die örtliche Feuerwehr durfte jedoch nicht in die Wälder rund um das Sperrgebiet.

Der Überschallknall diverser Militärjets gehörte ebenso zur akustischen Wahrnehmung des Flughafens wie das laute Dröhnen des Umkehrschubs landender Maschinen. Abgestorbene Bäume und der klebrige schwarze Schmierfilm an den Kiefernadeln zeugten von der enormen Umweltverschmutzung, die der regelmäßig kurz vor der Landung und in geringer Höhe abgelassene Treibstoff in den Wäldern entlang der Einflugschneise anrichtete.

Neben den parteipolitisch oder kulturell verordneten Treffen wie Auftritte russischer Chöre und Blasorchester bei diversen örtlichen Festen oder an Feiertagen sowie den partnerschaft-lichen Gegenbesuchen von Schulen und Betriebe, war die Kontakt der einfachen Bevölkerung ins „Lager“ hinein eher spärlich.
Außer Personen die offiziell Zugang zum Gelände hatten und die sich mit der Infrastruktur der Anlage etwas auskannten, gab es daneben auch genügend andere, die sich mehr oder weniger illegal ihren Zugang zum Lager verschafften, um dort private Geschäfte zu tätigen oder sich anderweitig materiell zu bereichern.
Fast schon „Volkssportcharakter“ erlangten hierbei Disziplinen wie der Benzin- und Ersatzteilhandel. Viele DDR-Bürger besaßen damals Autos sowjetischer Bauart, welche oft die nur schwer erhältlichen Ersatzteile benötigten. Auch der gute „rote Russensprit“  war damals sehr begehrt und wurde von den Soldaten der Garnison heimlich verkauft

Der illegale Benzinhandel

erfolgte oftmals so, dass plötzlich ein russisc

her LKW vor einem willkürlich ausgewählten deutschen Gehöft anhielt. Wenn die „Luft rein“ war, entstiegen die Soldaten der Roten Armee meist in Begleitung eines Vorgesetzten ihrem Fahrzeug und fragten den betreffenden Hauseigentümer, ob er ein Auto habe. Wenn diese Frage bejaht wurde, bot man ihm den verbleiten, russischen Kraftstoff an. Je nach Angebot und Nachfrage schwankte der Preis von 60 bis 130 DDR-Mark für 200 Liter. Sollten weitere Deals stattfinden, so verabredete man sich aus Sicherheitsgründen an Stellen außerhalb des Ortes. Ein bevorzugter Platz dafür war der Brückenkopf am Heegesee, auf der Seite der Alten Försterei gelegen.

Für Viertaktmotoren russischer Bauart (z.B. Moskwitsch und Wolga, aber auch Dacia und Lada) war dieser Kraftstoff sehr gut geeignet. Zweitakter hingegen vertrugen ihn nur schlecht, denn ihre Lebensdauer verringerte sich dadurch dramatisch.

Auch konnte man damals oft erleben, wie plötzlich ein „Muschkote“ (im Volksmund für russischer Soldat) mit Benzinkanister oder „Alpinist“-Kofferradio vor der Tür oder auf dem Hof stand und beides wahlweise zum Tausch gegen Bargeld oder Alkohol anbot. Dieser spontane „kleine Handel“ wurde natürlich auch immer von einem Offizier begleitet, der sich hierbei aber stets diskret im Hintergrund an seinem „Russenjeep“ (UAZ-469) aufhielt.
Als nächste Disziplin wäre das Einkaufen im bevorzugt belieferten „Magasin“ der Garnison zu nennen, das eigentlich für die Versorgung der Offiziersfamilien vorgesehen war. Die Magazine im Lager Sperenberg und Kummersdorf-Gut waren, abgesehen von vereinzelten Sonderregelungen, für die deutsche Zivilbevölkerung nicht zugänglich. Das Angebot dort bestand aus Waren russischer sowie deutscher Produktion. Von Obst und Gemüse, Konserven jeglicher Art (wobei Ketschup und Südfrüchte besonders begehrt waren), russischem Sekt, Dörrfisch- und Obst über Textilien, Teppiche, Geschirr, Gardinenstoffe und vieles mehr, gab es hier viels, was es im normalen DDR-Handelsalltag gar nicht oder nur sehr selten gab.

Oft erfolgreich war auch der heimliche Besuch einer der vielen Müllhalden, die sich innerhalb des Flughafengeländes befanden. Als Lohn winkte nicht selten ein alter Motor- oder Getriebeblock, aus dem sich der findige DDR-Bürger mit viel Geschick einen kleinen Traktor oder einachsigen Schlepper für das heimische Kartoffelfeld montierten konnte. Die eventuell noch benötigten Räder oder Reifen konnte ebenfalls die Müllhalde liefern.

Eine weitere Volkssportdisziplin war der allseits beliebte „Schrottklau“. Die Abgabe von Bunt- und Altmetall in der staatlichen Sammelstelle wurde damals mit klingender Münze üppig belohnt. So verwundert es auch nicht, dass damals gleich ein ganzer Aluminium-Hubschrauberrumpf auf dem Hof der Annahmestelle stand. Auch die vielen auf den Russenmüll (oder einfach in den Wald) geworfenen Starterbatterien galten als extrem lohnenswerte Ziele so manch heimlicher Zaunübersteigung ins Lager. Von den Russen neu verlegte Überland-Telefonleitungen aus Kupferdraht durchs Dorf wurden solange nachts wieder gestohlen, bis schließlich Erdkabel verbuddelt wurden.

Einen Eindruck über die fliegerischen Qualitäten russischer Piloten konnten sich die Anwohner Sperenbergs und umliegender Ortschaften täglich ungewollt verschaffen. Extreme Hubschraubertiefflüge (besonders der großen Mi-6) über bewohntem Gebiet waren an der Tagesordnung. Nicht selten entstanden dabei Schäden an Gebäuden wie kaputte Fensterscheiben oder heruntergefallene Dachziegel.
Oft zu sehen und gern geprobt (oder aus purer Not?) wurden auch die halsbrecherisch anmutenden Landeanflüge großer Transportflugzeuge mit teilweise abgeschalteten Triebwerken und Propellern oder manchmal sogar mit offener Laderampe.

Bei sommerlichen Manövern konnte man zusehen, wie aus Mi-6 Hubschraubern oder dem großen An-2 Doppeldecker abgesetzte Fallschirmspringer über dem weiträumigen Gelände heruntergingen. Oder fielen. Unfälle wie sich nicht öffnende oder verheddernde Fallschirme wurden oft beobachtet, offiziell aber nie „über den Lagerzaun hinweg“ kommuniziert.

Bei einem großangelegten Manöver kollidierten 1986 aus ungeklärter Ursache zwei Hubschrauber über Sperenberg und stürzten in den zweiten Teil des Krummen-See. Nach unbestätigten Berichten kamen dabei 7 Personen ums Leben. Am Unfall waren ein Kampf-hubschrauber vom Typ Mi-24 und eine Mi-2 oder Mi-4 beteiligt. Kurz nach dem Unfall wurde der komplette See von russischer Militärpolizei, deutscher Polizei sowie der Staatssicherheit abgeriegelt. Die Bergung der Toten und der Wracks dauerte die ganze Nacht hindurch. Taucher, Flakscheinwerfer und schweres Bergungsgerät kamen dabei zum Einsatz. Die Reste der Hubschrauber wurden mittels langer Stahlseile einfach quer durch den See an Land geschleift, auf Spezialtieflader gehoben, mit Tarnnetzen abgehangen und eiligst abtransportiert. Noch Tage danach durchkämmten Soldaten die umliegenden Wiesen und Wälder auf der Suche nach Trümmern. Ein kleines Hubschrauberstück befindet sich gegenwärtig noch im Keller der Heimatstube-Sperenberg.
Die Geheimhaltung dieses Unfalls funktionierte damals so gut, das der westdeutsche Radio-sender „RIAS-Berlin“ erst etwa 3 Wochen später offiziell darüber berichtete.

Ein Beinahe-Absturz über bewohntem Gebiet konnte 1982 beobachtet werden.
Nach offensichtlich technischen Problemen in der Luft, „landete“ eine Mi-4 sehr unsanft auf einem Ackerstück nahe den Häusern am Weinbergweg. Nachdem sich die Besatzung mit einigen „ Papirossy“ Zigaretten von ihrem Schock erholt hatte, begann sie in typisch russischer Manier den Hubschrauber mit schwerem Werkzeug zu reparieren. Kurz darauf setzte die Mannschaft den Flug fort.

Auch die Aktivitäten der umliegender Garnisonen besaßen einen hohen „Unterhaltungswert“.
Gerade in den Zeiten von Frühjahr- und Herbstmanöver waren überall auf den Landstraßen nicht enden wollende LKW-Kolonnen mit Soldaten an Bord, Panzer transportierende MAZ -Schwerlast-schlepper, sowie viele Militär-LKW, beladen mit Material, Verpflegung und Waffen, anzutreffen. Von vorausfahrenden Sicherungsposten begleitet, quälten sie sich, riesige blaue Abgaswolken erzeugend, lärmend durch die Ortschaften. Dabei regelmäßig auftretende „Kollateralschäden“ wie ramponierte Autos, zerstörte Straßenbeläge, niedergewalzte Vorgärten und umgefahrene Zäune, waren hierbei an der Tagesordnung. Ein damals mitten im Ort (!) umgestürzter Tanklastwagen wurde aus Mangel an adäquater Bergungstechnik und unter Anteilnahme großer Mengen Schaulustiger einfach abgefackelt, damit der auslaufende Treibstoff nicht ins Grundwasser gelangte. Natürlich nicht, ohne vorher noch schnell den einen oder anderen Kanister Sprit abzuzapfen…. Durch das Feuer wurde der komplette Garten eines angrenzenden Grundstücks incl. Umzäunung, Beete und Obstgehölz vernichtet. Die örtliche Feuerwehr hatte Mühe noch größeren Schaden zu vermeiden und die etwa 30m entfernte Hausfassade mit Wasser so zu kühlen, das der Dachstuhl nicht auch noch Feuer fing.
Eine groteske Aktion, denkt man an die Folgen einer möglichen Explosion des Tankwagens!

Einen geradezu magischen Anziehungspunkt für unvorsichtige Fahrer russischer Militär-LKWs, stellte eine Mauer am Maulaffenplatz dar, die manchmal sogar mehrfach innerhalb eines Jahres durchbrochen wurde. Ironischer weise befand sich genau dahinter der Garten der Kinderkrippe. Doch weder die Bemalung der Mauer mit Weltkugel, Friedenstaube und der in Russisch verfassten Botschaft „Druschba“ (Freundschaft), noch die Errichtung einer eisernen Absperrung vor dem Bürgersteig, konnte vor der fast schon regelmäßig stattfindenden Zerstörung schützen.

Die Fläche vor der Hauptwache des Flugplatzes war unmittelbar nach der Wende von fliegenden Händlern aller Schattierungen geradezu übervölkert. Das angebotene Warensortiment war riesig. Es ist heute kaum noch möglich, das komplette Warenspektrum aufzuzählen, wobei jedoch gebrauchte Kraftfahrzeuge, Waren des täglichen Bedarfs, Nahrungsmittel, Lederwaren, Textilien, Hausrat und vieles mehr damals die Hauptrolle spielten. Hinter vorgehaltener Hand wurde auch von Waffen- und Munitionshandel gemunkelt. Nicht alle Geschäfte verliefen reibungslos. Bei einer Auseinandersetzung zwischen den Händlern wurde ein Russe erschossen. Die Hintergründe zu seinem Tod wurden jedoch nicht öffentlich gemacht.

Nach dem Abzug der Truppen und den dabei zurückgelassenen Restlasten, zu denen komplett demontierte oder demolierte Immobilien, riesiger Berge Sondermüll oder der bis tief ins Grund-wasser kontaminierte Boden gehört, kehrte im September 1994 Ruhe über dem Gelände ein.

Sollte man meinen. Denn obwohl die Luftraumüberwachung der Bundeswehr auf Anfrage keinen Flugverkehr bemerkt haben will, registrierte die Flugsicherung Berlin-Tempelhof Radarechos über Sperenberg. Auch Zeugen vernahmen noch einige Male die gewohnten Geräusche landender und startender Maschinen. Offenbar wurde die Landebahn illegal genutzt. Was auch nicht verwundert, denkt man an die hektischen Aktivitäten kurz vor Räumung des Lagers, bei denen gestohlene PKW und andere Sachwerte eiligst in bereitstehende Transportmaschinen verladen und Richtung Ostblock geflogen wurden. Warum sollte die „Russenmafia“ hier also nicht Insiderwissen für ihre Aktivitäten genutzt haben?