Im Wandel der Zeit

„Das Verständnis des Begriffes Heimat im Wandel der Zeit“

von Dr. Karl-Heinz Fiedler

Dr. Karl-Heinz Fiedler ist der älteste Sohn des Gründers der Heimatstube Sperenberg, Mitglied des Fördervereins Heimatstube Sperenberg und bei Saarbrücken ansässig.

Der „Förderverein Sperenberg“ gedachte in einer Feierstunde am 16.Juni 2007 des 50 jährigen
Bestehens seiner Heimatstube. Der Gründer dieses Ortsmuseums, Karl Fiedler, notierte in
in seinen Erinnerungen: „Am 14.Juni 1957 wurde die Heimatstube der Öffentlichkeit übergeben.
Wir haben sie jeden Sonntagnachmittag der Besichtigung zugänglich gemacht.
In dieser Gedenkstunde wurde der Begriff „Heimat“ besonders betrachtet. Die nachstehende
Darstellung will die geschichtliche Wendung des Begriffes Heimat zusammenfassen.
Bis zur Mitte des 19.Jahrhunderts war Heimat ein Begriff, der vornehmlich in Amtsstuben der
Polizei, der Notare, der Bürgermeistereien verwendet wurde .Dabei ging es um den Geburtsort
bzw. den Wohnort oder um das Land der Herkunft einer Person, besonders dann, wenn das
Erbrecht in Anspruch genommen wurde.

Im deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm von
1877, wurde Heimat wie folgt definiert:
1. …“das land oder auch nur der landstrich, in dem man geboren ist oder bleibenden Aufenthalt hat,
2. der geburtsort oder ständige wohnort und
3. selbst das elterliche haus und besitztum heisßt so…“

Damit war Heimat ein nüchterner Begriff, der im juristischen und geographischen Bereich
gebraucht wurde. Der Begriff war an Eigentum und Besitz gebunden. Demgemäss gab es bis zur
Mitte des 19.Jahrhunderts Bestimmungen zum Heimatrecht. Wer Besitz und Grundeigentum in
einer Gemeinde hatte, erwarb automatisch das Heimatrecht, das wiederum die Verheiratung,
die Niederlassung und die Ausübung eines Gewerbes erlaubte. Im Falle einer Verarmung war
auch die Versorgung durch die Gemeinde gewährleistet. Diese Bindung von Heimat an
materiellen Besitz, schloss die Besitzlosen (Gesinde, Tagelöhner, ehemalige Soldaten) als
als „Heimatlose“ von diesen Rechten aus. Das Heimatrecht beinhaltete nicht nur eine
Rechtsgarantie, sondern besaß auch eine ausschließende Funktion. Somit verstand man im
19.Jahrhundert und am Anfang des 20.Jahrhunderts unter Heimat zunächst den Ort, in den der
der Mensch hineingeboren wurde, wo er seine ersten prägenden Sozialisationserfahrungen
machte, die weitgehend seine Identität, seinen Charakter, seine Mentalität und vielleicht auch
seine Weltauffassung prägten. Die Bedeutungsvielfalt des Begriffes wird sichtbar, die vom
elterlichen Haus über die Landschaft der eigenen Region bis zur „himmlischen Heimat“
(Paul Gebhardt) reichte. Daneben gibt es auch eine rechtliche Bedeutung, die den Begriff im
Zusammenhang mit Besitz von Haus und Hof brachte.

Das Ende des 1.Weltkrieges im November 1918 bedeutete für Deutschland nicht nur das Ende
der Monarchie, der Friede von Versailles verlangte große Gebietsabtretungen, enorme
Reparationen und die Anerkennung der Alleinschuld am Krieg. Mit Geduld, Augenmaß und
Einsicht musste ein neuer Anfang begonnen werden. Davon wurde auch das Verständnis von
„Heimat“ betroffen.

Auf der Reichsschulkonferenz 1920 wurde die Heimatkunde zum Prinzip aller Fächer und
Altersstufen erhoben. Sie erhielt eine wissenschaftliche Fundierung, insbesondere durch den
Philosophen und Pädagogen Eduard Spranger. Er hat damals das Beste geschrieben, was
über Heimat gesagt worden ist:

„Heimat ist die totale Wertverbundenheit mit dem Boden, ist geistiges Wurzelgefühl“.

Der Mensch wird nun nicht mehr einbezogen in ein romantisch-verklärtes, auf die Vergangenheit
und auf einen vorgegebenen Raum bezogenes Gefühl. Aktiv gestaltet er seinen eigenen Raum
Heimat wird zum subjektiven Empfinden, geprägt von Erfahrungen und Entwicklungen, woraus
woraus Wertverbundenheit und Wurzelgefühl entsteht.

In der Zeit des Nationalsozialismus erfolgte die Gleichschaltung der politischen und
wirtschaftlichen Interessen und die Propagierung der NS-Ideologie von Volk und Staat. Aus ihnen
wurden dann die Schlagwörter wie „Blut und Boden“, „Heimatscholle“, „Heimatfront“,
„Heimatverteidigung“, „Volkstumskampf“ hergeleitet und für die Kriegs-, Verteidigungs- und
Vernichtungspropaganda missbraucht.

Die ersten Jahre nach Beendigung des 2 .Weltkrieges und der Hitler-Diktatur, bewirkten einen
tiefgehenden Wandel des Heimatverständnisses. Aspekte der Umwandlung waren der
der Missbrauch durch die NS-Propaganda, aber auch die die zwangsweise ausgesiedelten,
vertriebenen, geflüchteten und deportierten Deutschen.
Dadurch fand der Begriff „Heimat“ Eingang in die historische und politische
Debatte und wurde Teil der politischen Auseinandersetzung. Es bildete sich sogar
eine politische Partei „Bund der Heimatvertriebenen“ mit Abgeordneten im deutschen
Bundestag. Im Verlauf weiterer Jahre begann dann eine kritische Neubeschäftigung mit dem
Begriff „Heimat“.

Auslöser für die kritische Betrachtung waren die Menschenrechtserklärung der UNO,
Bestrebungen in den zentralisierten Staaten um regionale Autonomie, ökologisches
Bewusstsein gegen die fortschreitende Zerstörung der Umwelt, das stärker werdende
Interesse von Bevölkerungsgruppen an der eigenen Lebenswelt Heimat wurde nicht mehr als ein
romantisches, verklärtes Gefühl angesehen, das auf die Vergangenheit und auf einen
Schutzraum bezogen ist. Das neue Heimatgefühl umfasst konkrete kleine Gemeinschaften
einer Gemeinde oder einer Landschaft. Inhaltlich bleiben die Traditionen anerkannt, aber die
durch Anonymität gekennzeichneten Gemeinwesen sollen umgeformt werden, zu
freundnachbarliche Beziehungen und die freie Entfaltung aller im Sinne der Gemeinschaft
Tätigen, zum tragen kommen. Somit wird Heimat ein Lebensraum, in dem die Bedürfnisse
nach Sicherheit, Identität, Aktivität und Integration erfüllt werden. Heimat ist ein Raum, den die
den die Menschen aktiv aneignen und gestalten und in dem sie sich einrichten können.

Dieses neue Verständnis der Heimat hatte zur Folge, dass seit den 70er und 80er Jahren des
20.Jahrhunderts Bürgerinitiativen, Geschichtswerkstätten, Heimat- rund Museumsvereine usw.
sich entwickelten. Sie hatten nicht nur die Wiederbelebung der Mundart, die Pflege lokaler und
regionaler Kulturformen zur Folge, sondern bemühen um die Zusammenarbeit von
verschieden orientierten Gruppen unterhalb der staatlich-politischen Ebene bei der örtlichen
Planung. Diese Gruppen und Initiativen gewinnen an Bedeutung und Attraktivität durch die
Veröffentlichung von Lebensgeschichten, Briefsammlungen, Aufzeichnungen und Ausstellungen,
in denen die Heimat als Erlebnisraum und als Bezugsrahmen fungiert. So wie es
Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker treffend formulierte: „Heimat ist nicht nur dort wo
wo man geboren ist, Heimat ist auch der Ort, wo man in Verantwortung genommen wird und wo
man verantwortlich sein kann.“